Die NSU Prozesstage 221 & 222 im Schnelldurchlauf

gemeinhin veröffentlichen wir unsere Zusammenfassungen von NSU-Prozesswochen exklusiv nur in unserer facebook-Gruppe gegen Rassismus und gegen Vertuschung - um diese noch bekannter zu machen (join it!), heute aber auch mal wieder hier: Die Prozesstage 28./29.07. (221 u 222) im Schnelldurchlauf

28.07.2015, 221. Tag

Götzl hatte für heute zwei Zeugen geladen: das aktive NPD-Mitglied Sandro Tauber und die BKA-Beamtin Alper, die bereits unlängst u.a. über Aliasnamen von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe referiert hatte. Sie wurde aber letztlich auf den nächsten Tag verschoben, weil aus den geplanten knapp zwei Stunden für Tauber der “ganze Tag” wurde. Geladen worden war letztgenannter aufgrund des Antrags der Verteidigung Wohlleben. Er wird in einer Quellen-Mitteilung ans ThLfV erwähnt, als Besucher der NPD-Schulungsveranstaltung in der Herberge Froschmühle in Eisenberg am 29.01.2000, bei der auch Edda Schmidt referierte. Es soll dort auch Wohlleben anwesend gewesen sein, wie auch Christian Kapke, sowie zwei – für den V-Mann vermeintlich unbekannte – B&H-Männer aus Chemnitz. Laut Mitteilung soll einer während der Veranstaltungspause in Anwesenheit von Wohlleben und Tauber Kapke auf sein Lied über die “Flüchtigen” angesprochen und gesagt haben, denen würde es gut gehen, woraufhin er von Wohlleben schroff unterbrochen worden sei. Danach habe sich der Kreis aufgelöst und einer der Chemnitzer habe mit Tauber gesprochen. Tauber gibt an, dort gewesen zu sein. Zu Personen aus Chemnitz meinte er, er kenne nur Jan Werner und dieser sei dort gewesen. Auf Vorhalt, ob Andreas Graupner auch dort war – das wisse er nicht, kenne ihn nicht. Solche Gespräche will er nicht mitbekommen haben. Er wisse auch nicht, ob Christian Kapke oder Wohlleben da waren. Obwohl er die beschriebene Reaktion von Wohlleben für plausibel halte, weil das ein absolutes Tabu-Thema gewesen sei, zu eigenem Selbstschutz, weil man von Agenten und Provokateuren umgeben gewesen sei.

Beide Uwes, wie auch Tino Brandt, seien seine Freunde gewesen, obwohl er sich zeitlich wenig in Thüringen aufgehalten habe, zu der Zeit habe er in Bayreuth gewohnt. Auch die “Beate” kenne er, sie habe zur Gruppe in Jena gehört, die sie (er und Brandt) besucht hätten und umgekehrt. Diese Gruppe sei relativ stark gewesen, etwa 20 Mann um den Jugendklub in Winzerla. Er kenne alle Angeklagten außer Eminger. Böhnhardt sei nicht, wie behauptet, aufbrausend und gewaltätig gewesen, sondern für ihn vielmehr unauffällig. Er könne sich an keine Besonderheit von Böhnhardt erinnern. Mundlos sei eine andere Natur gewesen, ein Organisationstalent – wozu ihm aber Beispiele fehlen -, dieser habe eine witzige, aufgeschlossene Art gehabt. Zschäpe sei sehr unauffällig gewesen, habe sich zurückgehalten, sei trotzdem sehr lustig, spaßig gewesen, eine angenehme Person, so Tauber. Es war auffällig – und er konnte nicht plausibel erklären, warum er das so sagte -, dass er in München zwei-drei Mal von “zwei” Untergetauchten sprach, als habe es Zschäpe im Untergrund nicht gegeben. Es sei für sie (Tauber und wohl die Szene) eine sehr ungewöhnliche Sache gewesen, weil sie sie gekannt hätten und gedacht hätten, sie sei aus “Loyalität, Solidarität oder aus Abenteuerlust” mitgegangen.

Er glaube, die ganze Geschichte (gemeint: das Auffinden der “Bombenwerkstatt” von der Polizei) sei nicht ganz außermittelt, er zweifle daran. Es habe damals viele fingierte Geschichten von der Polizei gegeben. Es habe nach dem Untertauchen viele Spekulationen gegeben, wo die Flüchtigen sein könnten. Man habe gedacht, sie sind im Ausland, weil es unvorstellbar war, so lange Zeit (unentdeckt) in Deutschland zu sein. Dann habe es geheißen, die Drei seien in Kreta verunglückt oder getötet worden. Er habe es von Tino Brandt erfahren, vermutlich 1999-2000. Er erinnere sich daran, dass auf Konzerten Gelder für die Flüchtigen gesammelt wurden, habe aber keine Erinnerung, wer sammelte. Es habe Veruntreuungsvorwürfe gegen Sammler gegeben, diese habe er auch nicht hinterfragt.

Carsten Schultze sei damals in Jena sehr stark gewesen. Er sei in die JN (die Tauber zusammen mit Schultze und Wieschke auf Anraten von Tino Brandt in Thüringen gegründet habe) eingetreten und wurde im Juni 2000 Taubers Stellvertreter im Landesverband, mit guten Optionen auf der bundesweiten Ebene. Zu Schultzes Ausstieg sagte er, dieser sei zu ihm nach Hause gekommen, habe ihm persönlich “offenbart”, dass er homosexuell sei und dass er aussteigen wolle. Kurze Zeit später sei Schultze ausgetreten, habe sein Amt niedergelegt und sei auch aus der Kameradschaft gegangen. Er, Tauber, habe mit ihm danach noch einige Zeit Kontakt gehabt. Zu dem Vorhahlt, Schultze habe angegeben, Tauber habe ihn nach dem Trio gefragt, verneinte er dies. Entsprechend auch, dass er nach der ausgebliebenen Antwort entrüstet gewesen sei.

Auch zu Wohlleben fielen Tauber durchweg positive Begriffe ein: sehr ruhig, besonnen, intelligent; sehr politisch; fair (in Bezug: Mentor bei Jugendlichen); ein Organisationstalent. Der kleinste gemeinsame Nenner für sie beide sei der Nationalismusgedanke gewesen. Der Kreis um Wohlleben sei politisch (Wahlbeteiligung) sehr aktiv gewesen.

Tauber bestritt vehemment, dass der THS eine selbständige Organisation war. Er sei lediglich eine “Mutter” für alle möglichen Kameradschaften, Organisationen und Parteien in Thüringen, ein “Dachverband”, eine “Schattenorganisation” bzw. “Vernetzungsplattform” gewesen. Deswegen könne er auch keine Namen der THS-Mitglieder nennen, außer Tino Brandt, wobei er auch nicht sicher sei, ob der THS dessen Erfindung gewesen sei. Er selber sei als JN-Mitglied beim THS gewesen. Es habe Stammtische gegeben, “Sammelsurien und Treffpunkte verschiedener Organisationen und Kameradschaften” und das Ganze sei dann THS betitelt worden. Nach der Wende seien zu ihnen ältere Leute aus Bayern gekommen, wie Kai Dalek – Brandts Mentor. Mit ihm sei die Organisation aufgebaut worden. Die Antiantifa sei die erste “Schattenorganisation” gewesen. Es habe zweimal pro Woche Stammtische gegeben: mittwochs für “Hinz und Kunz” und sonntags einen Koordinationsstammtisch für Aktionen, Wahlen (welche Partei man wählen sollte) usw. Auf Vorhalt, laut einem Hinweis wurde der Sonntagsstammtisch als “Kaderbesprechung” bezeichnet, meinte Tauber, das klinge hochtrabend. Der THS habe nur die Vernetzung als Ziel gehabt. Sonntags hätten sie besprochen, wie sie dem Verfolgungsdruck entgehen, in dem sie für Mittwochsstammtische immer unterschiedliche Treffpunkte überlegt hätten. Er habe Wohlleben, Mundlos und Böhnhardt sehr sporadisch bei Sonntangstammtischen gesehen.

Auf Fragen der Verteidigung Wohlleben, ob er sich an eine Fernseh-Live-Diskussion erinnere, bei der es um die NPD und die Gefahr seitens der Rechten gegangen sei,  meinte Tauber, der damalige Innenminister sei rigoros gegen die “nationale Opposition” vorgegangen, sie hätten das für “sehr unfair” gehalten, es habe einen “massiven Verfolgungsdruck” gegeben. Vielleicht hätten sie damals Interesse gehabt, mit dem Minister darüber zu reden. Auf Vorhalt, seinem zweiten Stellvertreter Wieschke sei verboten worden, an dieser Diskussion teilzunehmen, sagte Tauber, das wäre typisch gewesen.

Gewalt hätten sie komplett abgelehnt, er wie Wohlleben. Gewalt sei nicht von ihnen ausgegangen, sondern von Linksextremen oder von der Polizei. Während seiner Bundswehrzeit – 1996-97 – sei er dreimal vom MAD mit dem Ziel der Verpflichtung als V-Mann angesprochen worden, er habe die Zusammenarbeit abgelehnt. Ob er den Verdacht gehabt habe, wollte die Verteidigung von Wohlleben wissen, dass Brandt V-Mann war: Ja, bestättigte Tauber, es habe eine Gerüchtenküche zu Brandts Homosexualität gegeben, das habe ihn in seiner Position angreifbar bzw. erpressbar gemacht. 1998 oder 1999 solle Brandt sich bei einer seiner Veranstaltungen in einer Jugendherberge an einem Betrunkenen vergangen haben, Tauber sei selbst nicht dabei gewesen. Brandt sei darauf angesprochen worden und habe es nicht zugegeben. Auf “Verfolgungsdruck” angesprochen brachte Tauber als Beispiel, dass die Anmelder rechten Demonstrationen in Gewahrsam genommen worden seien. Wie auch Carsten Schultze, der einen Hess-Marsch in Eisenach angemeldet und daraufhin mehrere Tage in Gewahrsam genommen worden sei, was für ihn und seine Familie ein sehr harter Schlag gewesen sei. Kurz danach sei Schultze ausgetreten.

Auf die Frage der Verteigung Wohlleben nach den angesprochenen gleichen politischen Zielen mit Wohlleben, meinte Tauber, sie seien sehr national bewusst und zählte Themen auf “Souveränität der Völker” ( die BRD sei bis heute nicht souverän, Ziel sei gewesen, dies wieder herzustellen). Sie hätten die Zins-Politik, das Geldsystem in Frage gestellt (was für gewisse “Watch”-er – weil ja der unschlagbare Antisemitismus-Beweis – bezeichnenderweise weitaus erwähnenswerter als die berichteten Anwerbeversuche des MAD oder, dass auch dieser Zeuge lange von den Verbindungen Brandts zu V-Behörden wusste – um was aber geht es nochmal in diesem Prozess? Menschen welcher Nationalität, vermeintlichen religionszuschreibung wurden ermordet?) Konkret: Es sei ihnen um den “Untergang der Gesellschaftsordnung”, um die große Abtreibungsrate in Deutschland und eine damit einhergehende “demographische Katastrophe” gegangen. Die Asylpolitik sei Tagesthema gewesen. In den 90er Jahren habe es eine ähnliche Konstelation gegeben wie heute. Sie seien nicht gegen Menschen, Asylbewerber als Verursacher sondern gegen das politische System gewesen. Sie seien niemals für eine gewaltsame Lösung des “Problems” gewesen. Das habe ihnen großen politischen Schaden gebracht. Er spreche dabei nicht nur für die JN oder die NPD sondern für die ganze nationale Bewegung: sie wären viel weiter, wenn Rostock, Hoyerswerda oder “das hier” nicht passiert wäre. Letzteres habe ihnen den Einzug in den Thüringischen Landtag gekostet. Kai Daleks Aussage – der THS sei “der bewaffnete Arm” in Thüringen gewesen – sei absoluter Nonsens. Waffen seien schon Thema gewesen, aber nicht welche zu beschaffen, sondern Leute, die diese immer wierder angeboten hätten. Sie hätten diese als Provokateure gesehen und abgewiesen.

Von Nebenklage-Vertretern auf Aussagen anderer Rechter zu Gewaltbereitschaft und Waffenbesitz von Böhnhardt angesprochen, spielte Tauber dies herunter und wiederholte, in seiner Anwesenheit nichts bemerkt zu haben – eine Gaspistole zu besitzen sei damals in der Szene für “Selbstschutz” gegen Linke üblich gewesen. Es habe auch keinen Ausländerhass gegeben, “Bratwurst statt Döner” sei der einzige Spruch damals gewesen. Zur Flucht der Drei gefragt, meinte Tauber, zu Flüchten sei damals eine Modeerscheinung gewesen, z.B. sei Rachhausen nach einer Kneipenschlägerei, wo niemand ernst verletzt gewesen sein soll, nach Kanada oder Dänemark geflüchtet. Über die Drei: er kenne die Diskussion, die es in der Szene gegeben habe, a) sie sind Helden, weil der Polizei ein Schnippchen geschlagen, b) keine Helden.

Irgendwann kurz vor halb Drei, fiel Götzl auf, dass Heer und Stahl der Reihe nach nach draußen gegangen waren und nach seinem Dafürhalten zu lange dort verweilten. In seiner ihm typischen Art machte er dafür RAin Sturm an, wo sich denn deren Kollegen aufhalten würden. Sturm sachlich: sie sei nicht deren Sprecherin, sie mussten telefonieren, mehr wisse sie auch nicht. Daraufhin verordnete Götzl zehn Minuten Klärungspause.

Als die Vernehmung dann weiter lief, wurdeTauner vorgehalten, die Polizei habe 2006 in seinem Auto ein Bajonett-Messer einer Kalaschnikow sichergestellt. Tauber bejahte, das habe sich in der Werkzeugkiste befunden – als Arbeitsgerät. Er sei auf dem Weg zu einem Konzert kontrolliert worden. Er habe irgendwann das Messer wieder zurückgehabt und es habe keine Konsequenzen für ihn deswegen gegeben. Auf die Kameradschaft Saalfeld angesprochen, meinte Tauber, das sei eine Ente von Aust, es habe keine Struktur gegeben, nur ein T-Shirt. Die Geschichte mit den drei Flüchtigen und Kreta sei von einem Bereitschaftspolizisten in Umlauf gekommen, erinnerte der Zeuge nach Vorhalt. Von wem, wisse er nicht, er kenne niemanden, der von der Polizei in der Szene gewesen wäre. Auf Nachfrage gab er an, Narrath bzw “Nicole” (Schneiders) zu kennen, aus ihrer Studiumszeit in Jena (Schneiders war Wohllebens Kollegin bei der NPD), habe aber vorher wegen des Prozesses nicht mit ihnen Kontakt gehabt. Auch ein kurz von Wohlleben-RA Klemke kritisch hinterfragter Versuch eines NK-Vertreters einen Vorhalt mit Ausschnitten aus einer Demo in Dresden zu machen, ob Tauber dort Leute (neben Zschäpe) erkenne, war eine weitere sinnfreie Episode eines weiteren sinnfreien Prozesstages.

29.07.2015, 222. Tag

Der Tag fing mit Ex-VM(Piato alias Szczepanski)-Führer ” Reinhard Görlitz” aus Brandenburg an, der zum zweiten Mal nach München kam. Erneut in Begleitung eines Anwalts, erneut mit Perücke und Kaputze und mutmaßlich künstlich aufgepolstertem Bauch maskiert, was der deutsche “Rechtsstaat” augenscheinlich als normal betrachtet. Das Fragerecht lag bei der Verteidigung Wohlleben, die wissen wollte, ob der Zeuge in seinem Amt angeregt habe und dieses dann veranlasst habe, den im geschlossenen Vollzug befindlichen Szczepanski in den offenen zu verlegen, seine Post nicht mehr durchsuchen zu lassen bzw. ihn frühzeitig zu entlassen – Görlitz verneinte. Kurz danach entbrannte eine Diskussion zwischen Heer und Götzl und Klemke, dass das Gesicht des Zeugen durch seine “Maskerade” nicht sichtbar sei. Der Zeuge schob Perückenhaare aus dem Gesicht, sein RA und er wechswelten die Plätze und die Befragung ging weiter. Ob es Gespräche des LfV mit der JVA gegeben habe? Görlitz: dass sei ihm erinnerlich, aber er wisse nicht wer mit wem oder was, es sei nicht sein Bereich gewesen, solche Gespräche zu führen. Er habe zur Vorbereitung zu diesem Termin heute Gespräche mit seinem Vorgesetzten und dem RA geführt und einige Tage vorher Akteneinsicht gehabt, es seien 4 Aktenordner mit Deckblattmeldungen aus den Jahren 1997-98 gewesen. Was mit dem Handy von Szczepanski am 25.08.99 gewesen sei, meinte der Zeuge, er habe das alte an sich genommen und dem V-Mann das neue gegeben. Was mit dem alten Gerät danach passiert sei, nachdem er es in der Behörde (an wen, dazu fehle die Aussagegenehmigung) abgegeben habe, wisse er nicht mehr. Er wisse auch nicht, ob Piato Zugang zu Waffen gehabt habe, und, dass es gegen seine VP ein Ermittlungsverfahren wegen Waffen gab. Szczepanski habe den Auftrag gehabt, nur Infos zu sammeln, aber nicht Strukturen zu bilden. Auf Vorhalte aus der Aussage von Uwe Menzel, der gesagt haben soll, dass Szczepanski ihm angeboten hatte, Waffen zu besorgen bzw. dieser habe Strukturen in Königswusterhausen aufgebaut, sagte der Zeuge, dass er nichts davon wisse. Über die SMS auf dem einbezogenen Handy vermeintlich von Jan Werner an Piato mit der Frage, was mit den “Bums” sei (was Verfahrensbeteiligte für ein Synonym für Waffe/n halten), meinte der Zeuge, darüber erst später in anderen Akten (nicht die er selber geführt habe) gelesen zu haben. Auf Nachfrage, welche Akten, meinte der Zeuge, die des UA, diese haben ihn zur Verfügung gestanden zur Vorbereitung für München. Er habe die Verschriftung des SMS gelesen, wisse nicht, welche Behörde diese Verschriftung veranlasst habe. Ob diese Info sich in der Akte befinde, die der Zeuge vor sich auf dem Tisch liegen habe, meinte er, ja. Auf Nachfrage las er vor, dass das SMS “Was ist mit den Bums” am 25.08.1999 eingegangen sei. Es sei nicht ersichtlich, wer die Unterlage srstellt habe. Das Blatt, aus dem er vorlese sei eine Zusammenstellung, wahrscheinlich von ihm selber, so der Zeuge, aus einem Vermerk seines Referatsleiters vom 30.01.2013.

Dann gab es wieder die Beschwerde von Heer, Görlitz’ Gesicht sei für ihn nicht erkennbar. Er beantrage, der Zeuge solle die Kaputze abnehmen, er habe ja eine Perücke darunter, doppelt sei nicht notwendig. Dagegen protestierten die Staatanwälte Diemer und Weingarten, sie hätten auch ihr Sitzordnungsproblem (das von Zschäpe durchgedrückte Stühlerücken zwischen ihren alten und dem neuen Verteidiger), sprich den Zeugen nicht ins Gesicht schauen zu können. Götzl kommentierte, es könnte sein, dass die Befragung abgebrochen werde. Klemke dazu, wenn abgebrochen wird, dann sei dem Zeugen auf den Weg zu geben, sich für das nächste Mal über die Geschichte mit Handy ausführlicher zu informieren. Die Nebenklage schloss sich dem Antrag von Heer an und beantragte zustätzlich, die vom Zeugen mitgebrachten Dokumente anuszuwerten. Götzl gab kund, dass laut dem Brandenburgischen LfV der Zeuge nicht erkannt werden dürfe, und fragte Görlitz, ob er bereit sei die Unterlagen auszuhändigen. Der Zeuge meinte knapp, nein. Götzl darauf, ob ein Sperrvermerk des Amtes vorliege. Der Rechtsbeistand des Zeugen, Peters meinte, es seien reine Vorbereitungsunterlagen, diese seien eingestuft, es sollte geklärt werden, ob ein Aushändigen möglich sei. Götzl schlug vor, der Zeuge solle Unterlagen abgeben, der Senat würde sie nicht sichten, währenddessen sollte der Zeuge den Sperrvermerk besorgen, wenn keiner vorhanden sei, dann wird’s beschlagnahmt. Die GBA/Diemer stellte sich auf die Hinterbeine für den VS-Mann: man solle begründen, warum man die Unterlagen einsehen wolle. Man solle der Behörde die Möglichkeit geben zu erklären, es sei der Geheimdienst, man müsse nach den Regeln gehen! Dann sprang noch Peters ein, diese Unterlagen seien über sein Mandatsverhätnis mit Görlitz, Beratungsnotizen. Daraufhin die Nebenklage: wieviele verschiedene Erklärungen noch a) Behördenunterlagen, b) was der Zeuge selbst zusammengestellt habe, c) Beratungsnotizen mit dem RA. Peters: die Akte bestehe aus unterschiedlichen Dokumenten. StA Weingarten: der Zeuge sei ein Beamter, die Unterlagen seien Kopien aus seiner Behörde, Görlitz sei in einer schwierigen Position, er könne wegen eines Dienstvergehens beschuldigt werden; für die Behörde sei es schwierig, zu entscheiden, um welche Dokumente es gehen solle; und die Beschlagnahmung sei nicht rechtens. Das Hinundher drohte noch lange weiter zu gehen, bis Götzl 20 Minuten Pause anordnete, damit der Zeuge mit dem Innenministerium telefoniere. Aus der Verteidigung Wohlleben kam die Bemerkung, sie hätten Angst, wenn der Aktenordner mitgenommen werde, komme der nicht mehr vollständig zurück. Als daraufhin ein Nebenklägeranwalt meinte, die Akte bleibe im Saal, flippte Götzl mal wieder aus, der Anwalt solle sich mässigen, hier sei ein Befehlston nicht angebracht.

Nach der Pause zog der Richter die Zeugin vor, die am vergangenen Tag nicht zum Zuge gekommen war. Die BKA-Beamtin Alper war bereits Mitte Juli in München gehört worden. Nun berichtete sie über weitere “Alias-Personalien” von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe die anhand aufgefundener Aservate zugeordnet werden konnten. Unter anderem ein auf Holger Gerlach ausgestellter Reisepass mit Gerlachs Bild sowie der Führerschein, den Böhnhardt für PKW- und Wohnmobilanmietungen genutzt habe, sowie die ADAC- und AOK-Karten, wo keine direkte Nutzung festgestellt worden sei. Auf Gerlachs Namen waren auch zwei Fahrradpässe ausgestellt. Mit dem Namen “Andreas Hofmann” soll wohl Uwe Mundlos Computertechnik eingekauft haben, der Name stand auf einer Quittung aus der Zeit in der Polenzstrasse, es gebe keine reale Person hinter diesem Namen. Auf “Lisa Mohl” waren zwei Kundenkarten u.a. für Zwickauer Energievbersorger ausgestellt gewesen, der Name wohl als Abwandlung von dem ebenfalls benutzten “Lisa Pohl”. Weitere fingierte Personalie sei “Andreas Müller” gewesen – der wurde auf einer Zugangsdatenliste für Onlinedienste gefunden, zugeordnet wurde er Böhnhardt. Der Name “Carsten Richter” wurde auf Einzahlbelegen gefunden. Der reale Richter habe wohl die Anmietung der Wohnung in der Altchemnitzerstrasse übernommen und dem Trio zur Verfügung gestellt. Die Rechnungen seien an Carsten Richter ausgestellt, unterschrieben aber mit “K. Richter”, wohl ohne Kenntnis des Betreffenden. Eine auf “Silvia Rossberg” ausgestellte AOK-Karte nutzte wohl Zschäpe für Zahnarztbesuch in Halle 2006. Rossberg mittlerweile Scheidemantel hatte bereits als Zeugin in München ausgesagt, dass sie für 300 Euro ihre Karte an Gerlach verhökert hatte. An ihren Namen waren auch ein gefälschter Bibliotheksausweis und zwei Brillenpässe ausgestellt gewesen, wobei bei letzteren der Name durchgestrichen und mit “Pohl” ersetzt gewesen sei.

Nach zwanzig Minuten war Alper fertig, danach gab es wieder ca. 15 Minuten Pause, um laut Götzl zu klären, wie es mit Görlitz weitergeht. Danach hieß es, das brandenburgische Inneninisterium habe sein OK für die Sicherstellung der Kopien der Unterlagen gegeben, dessen Einvernahme sei (für heute) unterbrochen, bis demnächst könne Görlitz mit seiner Behörde alles bezüglich Sperrvermerk klären.

Nach der Mittagspause kam dann der dritte Zeuge, Jürgen Beck vom BKA, der 2011 und 2012 zwei Vermerke im Auftrag der EG Trio zu aufgefundenen Namenslisten gemacht habe. Er habe keine original Asservate bekommen, sondern Kopien – entweder elektronisch oder auf Papier: es seien Auszüge aus Telefonbüchern gewesen, Notizzettel, strukturiert geordnete Namen, alle mit Bezug auf München (88 Namen/Datensätze), Dortmund (37) und Nürnberg (6). Diese Dateien seien offensichtlich sehr systematisch angelegt worden. Es seien unter anderem Personen des öffentlichen Lebens dabei gewesen, wie Parteivertreter, Mitglieder des Landtags, Polizeibeamte, Fritsche soll auch darauf gestanden haben. Aber auch Pfarrer, Friedhöfe, Kindergärten, jüdische Einrichtingen. In Papierform hätten Auszüge aus dem Telefonbuch vorgelegen mit handschriftlich ergänzten Notizen, wie z. B. “Rote Sau”. Auf Notizzetteln seien Eintragungen mit X oder mit abgehakt-Zeichen markiert, bzw. mit Textmarker hervorgehoben gewesen. Bei der stichpunktartigen Prüfung seien Teile der Daten noch aktuell, teils schon veraltet gewesen. Er habe keine zeitliche Eingränzung, wann die Dateien erstellt wurden.

Der BKA-Beamte erwähnte auch, dass zahllose “Islamistische Einrichtungen” vermerkt waren auf den Aservaten, wobei er augenscheinlich Moscheen und islamische Kulturzentren meinte – also pauschal alles der islamischen Religion zuordenbare mit islamistisch “abkanzelte” – höchst peinlich: dass Götzl sich bemüssigt fühlte, dem Beamten zur Seite zu springen und zu behaupten, er habe “islamische Einrichtungen” verstanden, was dem Richter keiner abkaufen kann, wenn man seine Akribie kennt. Statt sich für die systematische Verunglimpfung zu entschuldigen, meinte der BKA-Mann lapidar, er habe sich keine Gedanken (über Wortwahl) gemacht, habe Institutionen gemeint, die mit Islam zu tun hätten.

Ein Jahr voller Ungereimtheiten oder: wo steht der NSU-Prozess wirklich

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Screenshot”ausriss” als Beleg/Zitat, dass die Nachrichtenagenturen afp/dpa, wie sie anhand ihrer öffentlichen Fotoarchive dokumentieren, alle paar Tage live erleben, wie eine bestimmte Polizistin den Büttel für Zschäpe macht.

Quizfrage: Was denken Sie, wie wird der Prozess für die Teilnehmenden und für die Nachwelt protokolliert? a) es gibt Bildaufzeichnungen; b) es gibt Tonaufzeichnungen; oder c) es wird professionell stenografiert. Die Auflösung ahnt kaum jemand. Die richtige Antwort ist nämlich nicht dabei. Der Prozess wird offiziell überhaupt nicht aufgezeichnet – nicht einmal für die Politik- oder Justiz-Wissenschaft. Dabei ist er einer der wichtigsten in Deutschland seit Jahrzehnten mit der beispiellosen Mordserie an neun Geschäftsleuten mit migrantischen Wurzeln und mindestens zwei Bombenanschlägen. Auch der Mord an einer Polizistin wird den rechtsextremistischen Tätern angelastet. Hinzu kommen noch zahlreiche Banküberfälle und eine Brandstiftung. Über fünf Angeklagte wird vom Staatsschutzsenat des Münchner Oberlandesgerichts verhandelt. Fünf Richter, vier Bundesanwälte, elf Verteidiger und knapp 60 Anwälte für rund 80 Nebenkläger beschäftigen sich mit dem National-Sozialistischen Untergrund (NSU), von deren angeblich drei Mitgliedern zwei – Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos – tot sind. Die Anklageschrift gegen die Hauptverdächtige – Beate Zschäpe – umfasst knapp 500 Seiten. Über 600 Zeugen hatte die Bundesanwaltschaft benannt, nicht einmal die Hälfte sind bis zur Stunde angehört worden.

Das morgendliche Prozedere an Verhandlungstagen ist immer das Gleiche: Vor dem Beginn warten Fotografen und Kameraleute auf die Angeklagte. Es werden die obligatorischen Bilder von der Seite, besser: vom Rücken der Zschäpe geschossen. Dann verlassen sie den Saal und der Prozess beginnt – in der Regel mit knapp 30 Minuten Verspätung. Während sich so viele Medienkollegen Gedanken darüber machen, warum diese Frau “Batterien von Bonbondosen” vor sich aufbauen darf, warum sie lächelt oder in den Pausen Sudoku spielt, beachtet keiner, dass beim Eintreten – im Unterschied zu anderen Polizeibeamten, die dort vertreten sind – eine ganz bestimmte Staatsbedienstete, wenn sie gerade mal Dienst hat, für Zschäpe den Büttel macht und ihr die Tasche trägt, obwohl sie doch diese Szene bereits x-fachst im Bild haben. Aber das nur nebenbei.

Die fünf Angeklagten 

Carsten Schultze: der 34-Jährige ist der einzige, der bis jetzt in freier Rede gesprochen hat und sich mehrere Tage lang umfangreich den Fragen gestellt und diese auch beantwortet hat. Er hat gestanden, Mundlos und Böhnhardt eine Pistole mit Schalldämpfer – angeblich im Auftrag von Ralf Wohlleben, dem weiteren Angeklagten – geliefert zu haben. Zschäpe soll, falls Schultze sie nicht deckt, nicht in unmittelbarer Nähe bei der Übergabe dabei gewesen sein. Bei dieser Waffe soll es sich um die Ceska handeln, mit der acht türkische und ein griechischer Unternehmer getötet wurden. Die Anklage gegen Schultze lautet auf Beihilfe zum Mord. Nach seinen Angaben hatte er sich vor Jahren von der Neonazi-Szene gelöst und war nach Düsseldorf gezogen, wo er Sozialpädagogik studierte. Er befindet sich im Zeugenschutzprogramm.

Schultze ist der einzige, der betroffen wirkt und anscheinend mitleidet, wenn es beim Prozeß um konkrete Mordtaten ging. Er ist der jüngste der Mitangeklagten und fühlte sich nach seinen Angaben als Heranwachsender, ab Mitte der 90er Jahre, stark von der Neonazi-Szene angezogen. Mit 13 bemerkte er seine homosexuellen Neigungen und machte die Erfahrung, dass wenn man zur “Szene” gehörte, andere Respekt vor einem hätten. Dem Grundtenor seiner Schilderungen nach war er ein Mitläufer, ein „Kleener“, wie man ihn genannt habe. ABER vergleicht man seine Aussagen heute mit dem, wie er damals – auch vom Äußeren her – wohl durchgehend aufgetreten ist, bekommt man als Beobachter stark den Eindruck, dass Schultze seine Rolle klein redet. Sozialisiert u.a. mit dem Neonazi-Musikprojekt „Zillertaler Türkenjäger“, erzählt der nun vermeintlich Geläuterte von früheren Feindbildern, von einer umgeschmissenen Dönerbude, vom Gemeinschaftsgefühl bei Demos, bei denen die Busfahrten zu Zielorten so lustig gewesen seien.

Kann man Schultzes Aussagen hundertprozentig trauen, oder sind sie aus Selbstschutz unehrlich. Zum Beispiel das Thema “wo und wann?” bei der Ceska-Übergabe: Schultze hat erstaunlich gute Erinnerung daran, wie Wohlleben mit  behandschuhter Hand die Waffe bei sich zu Hause geprüfte hätte, nachdem er sie in dessen Auftrag besorgt hatte. An den Übergabeort in einem Chemnitzer Café a la Galeria Kaufhof denkt er ähnlich gut zurück: speziell an den Ablauf einer Szene, wie er zusammen mit Böhnhardt und Mundlos gesessen haben soll, als Zschäpe dazugekommen sei, um eine Anwaltsvollmacht zu unterschreiben. Allerdings gab es die Chemnitzer Galeria Kaufhof erst ab 2001, und das wohl einzige andere Kaufhaus in Bahnhofsnähe was seinerzeit zu seinen Schilderungen wo die „Uwes“ Schultze in Empfang genommen hätten passen könnte, besaß nur ein Stehcafé. Sitzen wie es der Wahldüsseldorfer schilderte scheint auch dort undenkbar. Der erste Mord der Ceska-Serie an Enver Simsek geschah jedenfalls im Jahr 2000. Was dann hieße, dass die genannte Waffe bereits im Umlauf war, bevor sie Böhnhardt und Mundlos erreichte. Im Übrigen hat Schultze die dem Vernehmen nach im Brandschutt in Zwickau gefundene Ceska bis zur Stunde noch nicht einmal ansatzweise eindeutig identifiziert.

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Olaf Klemke und Nicole Schneiders sind beide Verteidiger von Ralf Wohlleben – Foto-Copyright: das ZOB

Ralf Wohlleben ist neben Zschäpe der einzige der Angeklagten, der in Untersuchungshaft sitzt. Ihm wird Beihilfe zum Mord vorgeworfen. Über ihn hat man im Prozess im Prinzip nichts Neues bzw. Relevantes erfahren, was die Behörden nicht schon vor Mai 2013 wussten. Bereits seit den ersten Wochen nach Auffliegen des sogenannten NSU-Trios verfügt die Polizei über ein MacBook, das bei der Durchsuchung in Wohllebens Wohnung vorgefunden wurde. Nach der Grob-Auswertung stellte man unter anderem fest, dass von diesem Gerät, mit dem Absender „terrorzellew@aol.com“, Massenmails verschickt worden waren. Auch dieser Punkt hat im Prozess trotz des lautmalerischen Mailkontonamens noch überhaupt keine Rolle gespielt. Indes war Wohlleben – der 39-Jährige zählt zu den führenden Neonazis im Freistaat Thüringen – stellvertretender Landesvorsitzender und Pressesprecher der NPD Thüringen sowie Vorsitzender des NPD-Kreisverbands Jena und hatte bereits mehrmals Bekanntschaft mit dem Rechtsstaat gemacht. Im Jahr 2000 wurde er zusammen mit dem weiteren namhaften Neonazi Andre Kapke (s.u.) verurteilt wegen Körperverletzung und Nötigung. 2007 wurde Wohlleben zudem wegen übler Nachrede gegen einen NPD-Aussteiger verurteilt. Auch ist er einer der führenden Köpfe beim Thüringischen Heimatschutz (THS), angeführt von dem ehemaligen V-Mann und Neo-Nazi, Tino Brandt. Der THS gilt als Brutstätte des NSU. Wohlleben war einer der schlimmsten und lautstärksten Agitatoren der rechten Szene, Organisator und Veranstalter zahlreicher Kundgebungen und Demonstrationen, darunter zum Beispiel dem „Fest der Völker“ 2005, einer der dubiosesten Rechtsrockveranstaltungen hierzulande. Wohlleben hatte offenkundig die besten Kontakte zu den „Dreien“ vor ihrem „Abtauchen“, er hat wohl – dafür spricht nicht nur die Aussage von Schultze – die Mordwaffe Ceska mitorganisiert, und es wäre sehr unplausibel, wenn der Kontakt mit Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe danach einfach so abgebrochen wäre.

Besonders spannend sind seine zwei Haupt- und ein Ersatzverteidiger. Fangen wir mit Letzterem an: Wolfram Nahrath. Ginge es nach Wohlleben, so hätte auch er gerne drei offizielle Hauptverteidiger, wie Zaschäpe. Nun muss Nahrath, NPD-Mitglied und bekennender Rechtsradikaler, den Ersatzmann spielen, wenn Nicole Schneiders und Olaf Klemke mal nicht antreten können. Nahrath, der als Vorsitzender der mittlerweile verbotenen Wiking-Jugend in die Fußstapfen seines Vaters trat, ist ein bevorzugter und bei Gegnern dieses Gedankenguts als gemeingefährlich eingestufter Redner bei NPD-Demos.

Ganz so plump tritt Nicole Schneiders nicht (mehr) auf. Ihrem Mandanten ist sie nicht nur durch ihre frühere Tätigkeit in Jena als Wohllebens Stellvertreterin als NDP-Kreisvorsitzender vertraut. Durch sie gibt es zwischen Wohlleben und einer der ältesten Rechtsrockbands „Noie Werte“ eine direkte Verbindung. Nicht nur über den ehemaligen Kanzlei-Kollegen von Schneiders, Steffen Hammer, sondern auch über den Gittaristen Andreas Graupner, der um 2002 bei der „Band“ eingestiegen und bis zu deren Auflösung 2010 dabei war, besonders spannend. Dennn: mit “Musik” dieser “Band” wurden Vorgängerversionen des so genannten Bekennervideos des NSU unterlegt. Der Blood&Honour-Mann Graupner diente wohl als Kontaktmann zwischen dem „Trio“ und Wohlleben.

Der dritte im Bunde der Wohlleben- Verteidiger, Olaf Klemke, erscheint mit seinen Befragungen teilweise richtig ekelerregend. Als Gamze Kubasik, die Tochter des in Dortmund ermordeten Mehmet Kubasik als Zeugin kam, sprach er sie zu Hänselungen ihres kleinen Bruders auf der Straße an. Es ging um die Zeit direkt nachdem Ermittler und Presse ihre Familie mit unhaltbaren Verdächtigungen in den Schmutz gezogen hatten. Klemke wollte wissen, welcher Nationalität diese Hänseler denn gehabt hätten. So schwer es uns auch fällt einzuräumen: Klemke wirkt an anderen Stellen des Prozesses durchaus kompetent, aber hält sich die letzten Monate – nicht so auffallend, wie Zschäpes Verteidigung, aber eben doch – auch mit ernsten Sachfragen die sich zum Wohl seines grausigen Mandanten aufdrängen sehr zurück.

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Der Anblick kann nicht zur Mittagspause auf den Magen schlagen: Andre Eminger ist einer von den drei Hauptangeklagten, die nicht im Gefängnis sitzen. Nur Zschäpe und Wohlleben verbringen die Zeit außerhalb der Verhandlungen hinter Gittern. Fotocopyright: das ZOB

Andre Eminger: seine zwei Anwälte wirken teilweise auch obskur, und das nicht primär deshalb, weil sie im gesamten Prozeß bisher gefühlt keine fünf Mal etwas von sich gegeben haben. Darunter aber ein Antrag: der Richter möge ihren Mandanten doch teilweise von der Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung befreien, weil ihn vieles ja nicht beträfe. Eminger ist wie Carsten Schultze und Holger Gerlach Freigänger und umgibt sich bei schönem Wetter in Verhandlungspausen vor dem Gericht, nicht selten mit nicht minder zwielichtigen, ultrarechts anmutenden Typen wie er selber – wenn er kein “Schauspieler” sein soll – einer ist. Dieser Antrag wurde erwartungsgemäß abgelehnt. Der 34-jährige gelernte Maurer ist nicht nur deswegen interessant, weil er mit seiner Frau Susanne (die ihrer Freundin Zschäpe gern ihre Identität lieh) nachweislich bis zum Schluss engste Kontakte mit den drei „Untergetauchten“ unterhielt. Sondern auch aufgrund einer möglichen Verfassungsschutz-Operation „Grubenlampe“.

Es geht um den Zeitraum 5. bis 8. Dezember 2006. Damals wohnten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe in der Zwickauer Polenzstraße. Am 7. Dezember kam es im Haus zu einem Wasserschaden. Laut Anklageschrift hätten vier Zeugen Zschäpe mit Eminger bei Aufräumarbeiten gesehen. Und im Zuge der Ermittlungen zum Wasserschaden soll Zschäpe als Susanne Eminger in Begleitung des „realen“ Emingers vor der Polizei vorgesprochen haben – dass sie damals weiterhin unentdeckt blieb, ist seltsam. Denn in den Protokollen der Aktion “Grubenlampe” der Beobachter, die Eminger auch in jenen Tagen feste im Blick gehabt haben sollten, steht einiges von Wegen zur Arbeitsstelle und derlei mehr – von einem Besuch in der Polenzstraße findet sich kein Wort. In Anbetracht geschredderter Akten und einigem mehr was allein seit November 2011 bekannt wurde – wohl ohnedies nur die Spitze des Eisbergs – schließen wir es, um es höflich zu sagen, nicht aus, dass Beamte damals mitbekommen haben, wo das “Trio” Ende 2006 abgeblieben war.

Auch als nach dem angeblichen Selbstmord der „beiden Uwes“ die gemeinsame Wohnung in der Frühlingsstraße ausbrannte, war Eminger als Schaulustiger recht schnell vor Ort. Für uns steht er ohnedies in Verdacht, vielleicht sogar mehr als Zschäpe selbst, den Feuerteufel gespielt zu haben.

Holger Gerlach: Der Mann, der am Anfang des Prozesses sein Gesicht hinter einem Heft verbarg, hat scheinbar kein Problem mehr, erkannt zu werden. Er ist nominell ein weiterer Kronzeuge neben Schultze in diesem Prozess. Allerdings verweigerte er eine richtige Befragung, verlas bis zur Stunde nur eine ziemlich halbherzig wirkende Erklärung , wo er den Tatvorwurf einräumte, den Dreien unfreiwillig (Wohlleben habe sie ihm quasi zugesteckt neben anderen Mitbringseln) mal eine Waffe (def. nicht die Ceska) geliefert zu haben, und willfährig gewesen zu sein, bzgl. der Weiterreichung/Erstellung von Passdokumenten, die auf seinen Namen liefen.

Böhnhardt profitierte wohl bis zuletzt von einer Ähnlichkeit mit Gerlach – die Papiere wurden wohl oftmals für die Anmietungen der Wohnmobile verwendet. Wobei wir uns durchaus vorstellen können, dass der früh nach Niedersachsen emigrierte Jenaer hier und da unmittelbarer mitgeholfen hat – vielleicht sogar seine Familie. Aber das ist eine andere Geschichte. Gerlach hat sich jedenfalls wie Schultze nachdrücklich bei den Angehörigen der Opfer entschuldigt.

Und schließlich noch Zschäpe: Als Schultze – so seine Aussage während der Verhandlung – mit der Ceska im Rucksack, mit beiden Uwes in einem Café saß und die beiden Männer ihm von einer „Taschenlampe“* erzählten, die sie angeblich in Nürnberg aufgestellt hatten, sei Beate dazugestoßen und die Uwes hätten in seine Richtung „Psst“ gesagt. Für Zschäpes Verteidung ein klarer Fall, dass sie nichts von solchen Aktivitäten mitbekommen sollte – also eher ein Indiz, dass die Hauptangeklagte gar nicht so tief im Mordsumpf steckte. Es ist aber für uns naheliegender, dass sie Geschwätzigkeit ihrer „Jungs“ gegenüber Schultze nicht gut geheißen hätte und die “Uwes” daher das Gespräch abrupt beendeten. Immerhin scheint Zschäpe seit ihrerJugendzeit, ab 1998 trat sie nachweislich als aktives THS-Mitglied und Neofaschistin auf, laut Aussage zahlreicher Zeugen, eine Meisterin der Anpassung und Verstellung gewesen zu sein.

Die Anklageschrift gegen sie ist sehr lang und, nebenbei bemerkt, bis heute nicht öffentlich zugänglich! Neben Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung werden ihr unter anderem Mittäterschaft bei den zehn NSU-Morden, mehrfacher versuchter Mord (Stichwort u.a. Sprengstoffanschläge in der Probsteigasse und in der Keupstrasse in Köln) sowie besonders schwere Brandstiftung mit ebenfalls versuchtem Mord an einer Nachbarin und zwei Handwerkern vorgeworfen. Außerdem soll sie auch für die 15 bewaffneten Raubüberfälle mitverantwortlich sein. Lebenslange Haft plus anschließender Sicherheitsverwahrung wäre das Urteil, wenn alles bewiesen werden sollte, was alles andere als wahrscheinlich scheint. Während Zschäpe eisern schweigt, bewegt sich auch die Beweisführung auf oft dünnem Eis.

Fast schon in Vergessenheit geraten sind seit Prozessbeginn die Anrufversuche bei Zschäpe am 4. November 2011 von einem auf das Innenministerium Sachsen zugelassenen Handy – recht zeitnah zu der Situation, wo Mundlos im Wohnmobil Böhnhardt ermordet und sich nach der Feuerlegung im Auto selbst gerichtet haben soll. Wenig später explodierte in der Frühlingsstrasse die vom Trio angemietete Wohnung und Zschäpe beginnt ihre Reise, bis sie sich letztlich am 8. November 2011 den Behörden stellt. Seit Beginn des Prozesses gibt es viel Gossip über sie, nicht nur in der Bild-Zeitung. Schließlich schafften es ihr Herz für herumstreunende Katzen oder feuchtfröhliche Runden mit offenkundig latent rassistisch eingestellten Nachbarinnen in das an vielen Stellen übel desinformierende SZ-Theaterfilmchen, das zum Jahreswechsel von jenen gehypt wurde, die nicht mal in zehn Jahren ahnen werden, was in München wirklich verhandelt wird bzw. ausgebremst wird.

Zschäpe mutmaßlich an zwei Mord-Tatorten “live” dabei

Zurück nach Zwickau: Als die Wohnung des mutmaßlichen Trios in die Luft flog, wohnte eine alte Frau nebenan. Als das Haus abgerissen wurde, kam die mittlerweile über 90-jährige Demenzkranke, nach zwischenzeitlichem Umzug, in ein Heim. Tragisch, aber im Vergleich zu zehn Ermordeten ist ein nötig gewordenener Umzug wohl bestenfalls eine Fußnote Erwähnung wert. Denn wer sich die Fakten aus der Frühlingsstraße anschaut weiß, dass mittels der durch Benzin herbeigerufenen “Explosion” in der Wohnung der Dame keine Gefahr drohte, zumindest wenn – wie es natürlich auch hier geschah – halbwegs zeitnah eine Feuerwehr ans Set kam. Nun ist ein Jahr Prozess vorüber und die Gewichtung der Bundesanwälte Diemer und Co. zeigt, wo er angelangt ist: Diese zerstörte Wohnung ist also alles, was sich Zschäpe halbwegs sicher anlasten lässt im Moment – Stichwort Benzinspuren an ihren Socken. Oder haben Sie, liebe Leser, in den letzten Wochen oder Monaten etwas anderes vernommen? Da war nämlich eigentlich noch einiges!

Zeugen, die aussagen, dass Zschäpe an mindestens zwei Mord-Tatorten war, sollten doch der Anklage höchst willkommen sein, könnte man meinen. Aber nicht doch. Diese wurden unglaubwürdig, gar lächerlich dargestellt. Wie im Falle der Zeugin, die im Juni 2005 vor dem Mord an Ismail Yasar im benachbarten Supermarkt in Nürnberg auf eine Frau aufmerksam geworden war, weil sie sie an eine TV-Serien-Schauspielerin erinnerte. Sie hatte sie später als deren Bild durch alle Nachrichten ging als Zschäpe identifiziert. Da die Zeugin sich während ihrer Aussage an andere Details, die sie vor Jahren noch angegeben hatte, nicht mehr so erinnern konnte, wie sie angeblich (!) authentisch von Beamten in polizeiliche Vernehmungsprotokolle geschrieben wurden, stempelte die Bundesanwaltschaft sie als unglaubwürdig ab. Diemer verdrehte es gar dahin, dass die Zeugin am Ende vielleicht glaubte, die Schauspielerin (nicht Zschäpe) hätte leibhaftig vor ihr gestanden.

Dank BKA-Vorabinfos schlachten ARD-”Kollegen” Zeugen vor ihrer Einvernahme

Obgleich wir immer recht akribisch die Arbeiten der Kollegen zum NSU-Komplex sichten ist uns folgendes leider tatsächlich erst in den letzten Tagen aufgefallen, sonst hätten wir hier vor Wochen auch keinen Text von ihm zu Temme empfohlen! Zur Nürnberger Zeugin tat ein gewisser Franz Feyder von den Stuttgarter Nachrichten nicht nur bar aller Tatsachen so, als ob die Zeugin irgendetwas anderes bekundet hätte, als dass ihr die Begenung im Supermarkt wegen einer Ähnlichkeit (nicht mehr nicht weniger!) der Mimin zu Zschäpe (*1975) (ein Klick genügt, um festzustellen, dass der Gedanke daran, eine Ähnlichkeit zu erkennen, keineswegs irrsinnig ist) erinnerlich blieb. Nein. “Kackdreist” stehen da bis heute Sätze im Netz, als ob die Zeugin gar von der dicklichen Serienhauptfigur (*1952) sprach. Wer live an dem Prozesstag dabei war kann – zumindest wenn man nicht während der Sitzung wie manch ein Kollege “Risiko” (sic!) auf dem Handy spielt – unmöglich überhört und (!) übersehen haben, dass keinesfalls von der viel älteren Roseanne-Figur die Rede war, sondern von Sara Gilbert (*1975), die in der Serie die Figur der Darlene Conner gab – zumal Fotos der Schauspielerin groß projiziiert wurden an diesem Tag.

Noch perverser war, wie eine vom BKA offenkundig an den “Terrorman” der ARD- durchgesteckte Vorvernehmung einer Frau aus Dortmund ablief. Bereits vor ihrer Vernehmung im OLG wurde jene Veronika A. als  unglaubwürdig abgestempelt. Sie will Zschäpe Anfang April 2006 – just in der Stadt, in der dann wenige Tage Mehmet Kubaşık ermordet wurde – auf einem Nachbargrundstück zusammen mit beiden „Uwes“ sowie einem Skinhead gesehen haben. Die Glaubwürdigkeit sprach man ihr ab, weil sie ihre Beobachtungen erst im vergangenen Sommer einem Nebenklägervertreter anvertraut hatte. Ihre Erklärungen in München dafür waren allerdings ziemlich plausibel: Zum einen hielt sie ihre Beobachtungen für die weitere Aufklärung der NSU-Verbrechen und ihre Hintergründe nicht für besonders wichtig – denn es war ja nun klar, wer das NSU-Kerntrio war. Irgendwann, als dann zur Prozessberichterstattung auch die Existenz einer Liste mit 129 Namen (aus der dann irgendwann 400er/500er liste – auch ein Thema das anscheinend niemanden juckt) aus dem direkten oder weiteren Umfeld des sog. Terrortrios aufkam sei sie davon ausgegangen, dass man seitens der ermittelnden Beamten ohnedies sicher diverse Kontakte der Drei nach Dortmund auf dem Radar hatte. Die Großstadt in Nordrhein-Westfalen gilt schließlich nicht nur generell als Hort ziemlich vieler Rechtsradikaler, sondern war ja eine der Tatortstädte! A. nahm generell an, dass das Ermittlerwissen weitaus größer als ihr eigenes war.

Andre Kapke

Theoretisch einer der spannendsten Zeugen, die bisher geladen waren: Andre Kapke – links im Bild, daneben sein Anwalt. Foto-Copyright: das ZOB

Aber warum ging sie dann im Juni 2013, statt zu einem Anwalt, nicht direkt zur örtlichen Polizei? Das wollte auch der Vorsitzende Richter Götzl wissen. Die Antwort enthielt unter anderem eine besonders pikante Schilderung, was in den Medien bezeichnenderweise kaum Niederschlag fand: A. wohnte im Dortmunder Stadtteil Brackel in unmittelbarer Nähe einer Kneipe, von wo bei Würfelrunden des öfteren lautstarke „Sieg heil“- Rufe auszumachen gewesen wären. Sie suchte deswegen Kontakt zu den Kneipenbetreibern. Doch diese machten ihr wohl die lange Nase: Frau A. könne ja mal abends vorbeikommen, wenn es wieder mit derartigen Sprüchen laut werde. Manche Polizeibeamte seien dann ja mittendrin statt nur dabei. Und zu solch einer Polizei soll man als Bürger Vertrauen haben? Als Götzl die Zeugin entlassen wollte, stellte Nebenklageanwalt Adnan Erdal den Antrag, sie zu vereidigen – nicht weil er ihr nicht glaubte, sondern um die Bedeutung dieser Aussagen zu unterstreichen. Was abgelehnt wurde weil laut Diemer dafür keine Voraussetzungen vorlagen, die Aussage der Zeugin „nicht von ausschlaggebender Bedeutung“ sei.

Indizien, dass Zschäpe also mindestens zweimal zeitnah an einem Mordort gewesen sein kann, sollten eigentlich ein Grund zur Freude der Ankläger sein. Aber mit jeder Prozesswoche mehr fühlt man sich als Unvoreingenommener in München sprichtwörtlich im falschen Film. Zur Erinnerung: Zschäpe hat drei Anwälte, von denen zwei fast immer anwesend sind. Seit Monaten zeigen diese kaum irgend eine Regung, auch nicht bei für ihre Mandantin besonders heiklen Zeugenbeschuldigungen. Dafür intervenieren Stahl, Heer und Sturm („Wir heißen wirklich so“ – Hut ab für Jan Böhmermanns  Chuzpe mit der Musicalidee) im Grunde nur mehr dann, wenn es für den Staat wegen seiner V- bzw. MAD-Männer eng werden könnte!

Was machte der „Führer“ in Eisenach?

Exemplarisch für den Ablauf im Gericht ist der Umgang mit dem Zeugen Andre Kapke, der, wie viele geladene Neunazis, Gedächtnislücken vorschützt. Er ist mehrfachst vorbestraftes NPD-Mitglied, neben Tino Brandt, Wohlleben und beiden Uwes die bekannteste und wichtigste Figur des THS und wohl nicht umsonst „Führer“ genannt. In München erschien er von einem Szene-Anwalt begleitet und fühlte sich sichtlich nicht unwohl bei der Verhandlung. Auf die Fremdenfeindlichkeit angesprochen, sagte er, dass er sich nicht erinnern könne, „dem Ausländer selbst die Schuld gegeben“ zu haben: „Der kann ja nichts dafür, dass er da ist, das hat die Politik ermöglicht. Sie fangen ja nicht an, wenn Sie was gegen Unkraut machen, und zupfen da ein, zwei Blätter. Sie müssen schon an der Wurzel anfangen.“ Dass dieser Mann, der engst mit dem sog. NSU-Trio verbunden war, am 4. November 2011 als Böhnhardt und Mundlos im Wohnmobil starben, laut Funkzellenüberwachung nicht weit entfernt war, angeblich weil er in der Nähe einen PKW gekauft hätte und auf dem Weg nach Hause gewesen sei, sorgte erstaunlicherweise für keine kritischen Nachfragen bei den Prozessbeteiligten. Auch nicht, ob er den Kauf und die Anmeldung nachweisen könne oder diese gar tatsächlich selber vorgenommen habe. Nichts dazu, wie es zu erklären wäre, dass sein Handy zweimal in Eisenach in das Netz eingeloggt war und sein faktischer Bewegungsradius somit auch nicht zu seinen Angaben passen könne?

Dafür bestand unnötig viel Interesse, zum Beispiel daran, dass er „verunglimpft“ wurde, für das „Trio“ bestimmte Gelder veruntreut zu haben, oder dass er irgendwelche banalen Sachen bei Böhnhardts Eltern für deren Sohn abgeholt haben könnte. Sehr wohl wird aber die für Kapkes Geburtstag von seiner damaligen Freundin und Wohlleben verfasste, einzig an Tumbheit starke Zeitung im gesamten Wortlaut vorgelesen. Auch wird stundenlang mit der Verfasserin diskutiert, ob sie es zum Beispiel mit der Mordankündigung an Kanzler Schröder ernst meinte. Oder es wird reichlich Zeit mit einem fraglos extrem ekelerregenden antisemitischen Spiel „Pogromly“ verschwendet, einem „Monopoly“ nachempfundenen Brettspiel, das wohl das „Trio“ erfunden haben soll. Viel Interesse wird dann zum Beispiel auch dafür verwendet, wie oft man denn beim Spielen gelacht habe. Und so gab es bisher mindestens 20 Prozesstage die man in einem halben hätte “verhandeln” können. Oder will man Zschäpe am Ende ein Jährchen mehr aufbrummen, weil sie beim kranken Monopoly-Clown auf die Gaswerke (im Original von Parker Bahnhöfe) scharf war und über “Judenwitze” lachte?

Und draußen fährt die Polizei…

Wenig Gedanken macht sich beim Prozess hingegen über die bei einigen Mordanschlägen ziemlich nah am Set befindliche Polizei und widersprüchliche bzw. fragwürdige “Aussagen” dazu.

Oder wie sollte man folgendes werten: Nürnberg, 9. September 2000 gegen 15 Uhr wollte Andreas H. (zufällig Rettungssanitäter) nahe an einer Ausfallstraße an dessen mobilen Blumenstand einen Strauß kaufen wunderte sich, dass dieser anscheinend über einen längeren Zeitraum unbesetzt war – denn es war ihm schon beim Eintreffen ein Pärchen entgegen kommen, dass auch schon keinen Verkäufer vorgefunden hatte. So kontaktete er die Polizei. Dass man den heute 40-jährigen seitens der Behörden gleich zu beruhigen suchte, indem ihm ein Beamter bei jenem Anruf mitteilte, dass Streifenkollegen den Blumenhändler noch vor rund einer halben stunde gesehen hätten, also (sicher) alles in Ordnung sei, kommt zumindest uns “spanisch” vor. Wie konnte eigentlich – abgesehen davon, dass das Gegenteil von “OK” der Fall war, der Mordanschlag war bereits geschehen, der bereits nahezu tote Mann aber vermeintlich noch unentdeckt – der Anrufempfänger in der Zentrale wissen, ob welche Streife welchen Blumenhändler wann gesehen haben kann? Warum wird das im Gericht auch von der Nebenklage nicht vernünftig nachgefragt? Warum sollte eine Polizei beim Vorbeifahren mehr oder minder gezielt auf die Anwesenheit eines Händlers der (bzw. dessen Angestellte) dort regelmäßig seinen Stand aufschlägt, “achten”? Nach weiterem Warten alarmierte H. nochmals die Polizei. Als die dann kam, fand sie Simsek in seinem Mercedes-Transporter niedergestreckt.

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In wenigen Tagen erscheint als Printzeitschrift eine größere Publikation von uns, die weit über die reine Prozessbeobachtung hinausgeht: wir zeigen u.a. bisher unveröffentlichte Zusammenhänge rund um die Mordfälle von Kassel und Heilbronn, inkl. dem offenkundig vertuschten Mord an Florian Heilig, er stand kurz vor einer geplanten Aussage beim LKA zu einer Art Schwesterorganisation des “NSU” u.v.m. – Sie können sich gegen Überweisung von 4,00 € (2 Euro für die Zeitschrift, 2 Euro Porto und Verpackung) mit Angabe Ihrer Postadresse im Verwendungszweck ein Exemplar sichern: Kt.Nr.: 5408979333 BLZ: 50010517 (ING DiBa) – IBAN DE78 5001 0517 5408 9793 33 – BIC INGDDEFF. Die Zustellung erfolgt ca. zum 19. Mai.

Was hat es mit einem bordeaux-farbenen BMW-Combi auf sich, einem zivilen Polizei-Einsatzfahrzeug, das beim Tattag Yasar im Juni 2005 – wiederum in Nürnberg – offenkundig auffällig wurde? Nebenklage-Anwalt Narin hatte das mal versucht in den Prozess einzuführen – letztlich wohl vergeblich. 

Noch merkwürdiger ist die Geschichte der Schwiegemutter des ersten Münchener Opfers: Folgender Komplex zu Habil Kılıç – sein Laden in der Bad-Schachener-Straße: lediglich vier Häuser von einer Verkehrspolizei-zeiinspektion entfernt! – wurde, wie übrigens auch der übernächste Aspekt aus Hamburg, “selbst” von der Initiative „nsu-watch“ ausgeklammert. Obwohl diese behauptet ernsthafte Protokolle der Verhandlungstage abzuliefern. Anspruch und Wirklichkeit klaffen bei den “Kollegen” vom ersten Prozesstag an jedoch gravierend auseinander. Wenn da nicht gar Methode dabei ist, so staatshörig sich das vorgebliche “Aufklären und Einmischen” Projekt gibt, das – wie das ihm sehr nahestehende “apabiz” mit den “Rechten” an der NSU-Paulchen-Panther-DVD – ungeklärte Summen wohl auch aus Töpfen der Partei “Die Linke” bezieht. Soviel zur Unabhängigkeit. Fakt ist, die Schwiegermutter des vierten Mordopfers berichtete vor dem OLG davon, dass ihr seinerzeit auf einer Polizeiwache – auf die sie erst mittels Anruf eines Bekannten beordert worden war – erst nach dreieinhalbstündiger Vernehmung vom Tod ihres Schwiegersohnes berichtet worden sei. In der Zeit davor habe man sie ausgefragt und wie eine Verdächtige behandelt. Und als ob das nicht schon fragwürdig genug gewesen wäre schwor die Zeugin vor Gericht nun sprichwörtlich Stein und Bein, dass sie bereits am frühen Vormittag kurz nach 9 Uhr des Tattags auf die Wache in der Bayerstraße einbestellt war. Unter anderem um Fragen à la „Wie haben sie sich mit Ihrem Schwiegersohn verstanden?” zu beantworten. Und das eben, obgleich der Mord – nach allem, was man weiß – erst gegen 10.30 Uhr begangen wurde…

Am greifbarsten scheint polizeiliches Mitwissen am Tatort Hamburg rund um den Laden von Süleyman Tasköprü. „Unmöglich, dass sie es nicht mitbekommen haben!“ Der Vater des Ermordeten wiederholte diesen Satz mehrfach in München vor Gericht – jeden Tag zur Tatzeit wären zahlreiche Polizisten in Hörweite zur Mittagspause gewesen. Eine Aussage die man sich nicht ungesehen zu eigen machen muss, aber in einem vorgeblich unabhängigen Protokoll nicht fehlen darf. Doch wenige Tage nach diesem Verhandlungstag auch hier bei NSU-Watch keine Silbe!

Kannte Streifenpolizist das Mordopfer und schweigt?

Bei der Einvernahme des Hamburgers vorm NSU-Prozess war auch uns noch nicht klar, dass vielleicht gar noch mehr Auffälliges am Tatort Tasköprü im Zusammenhang Polizei passiert war. Doch dann stießen wir auf ein Interview mit ihm aus dem Dezember 2012 – dort beschreibt er eine auf den ersten Blick nebensächlich anmutende Begebenheit: „Am Tag, als der Mord passierte, kam ein Streifenpolizist in den Laden. Er trank einen Kaffee mit Süleyman, dann sagte der Polizist noch, er solle doch den Wagen draußen wegfahren, der sei falsch geparkt.“ Der Vater nahm das Auto, weil er ohnehin einige Einkäufe zu erledigen hatte.

Als er nach 20-30 Minuten zurückkam, war der Sohn schon tot. Zum gleichen Vorfall schildert – wie wir aus uns vorliegenden Akten nachvollziehen konnten – der angeblich gleiche Verkehrspolizist in seiner Zeugenvernehmung kurz nach dem Mord Tasköprü, dass er auf dem Gehweg in Höhe des Gemüsegeschäftes „einige Notizen ins Merkbuch eintrug, (dann) bemerkte ich, dass hinter mir aus diesem Geschäft eine männliche Person herauskam und mir im Vorbeigehen mitteilte, dass er seinen PKW sofort korrekt zum Parken abstellen wird.“ Der südländisch aussehende Mann habe Akzent gesprochen, er (der Polizist) wisse nicht, ob der, das spätere Opfer gewesen sei. Der Mann habe dann sein Auto umgeparkt, damit sei diese Angelegenheit für den Beamten erledigt gewesen. So wie es der Vater – und da die Geschichte sogar im Spiegel stand gehen wir nicht davon aus, dass die einen Polizisten offenkundig etwas andichtenden gebracht hätten – schildert, kannte der Streifenpolizist dessen Sohn zumindest von Pausen in dem Geschäft der Tasköprüs.

Man wagt es sich kaum vorzustellen. Aber nach all dem, was man von den rassistischen Ermittlungen, über die jahrelang fortdauernden Gängeleien Hinterbliebener, all dem Irrsinn im Gesamtkomplex weiß: warum sollte ausgeschlossen sein – wo es auch wenn die Staatsraison etwas anderes fordert, offenkundig ist, dass das Trio oder gar “die Uwes” alleine an keinem Tatort wirklich allein zu Gange gewesen sein können – dass zumindest in dem einen oder anderen Fall auch Staatsbeamte mit verwickelt gewesen sein könnten. Wo ja erwiesen ist, dass Polizeibeamte bzw. Verfassungsschutzmitarbeiter zumindest bei zwei Fällen indirekt eine große Rolle spielten. Etwa Kiesewetters Gruppenführer (der Polizistenmord Heilbronn) Mitglied beim Ku-Klux-Klan war oder in Kassel (Mord an Yozgat) ein Verfassungsschützer unmittelbar zur Tatzeit vor Ort war, aber nichts gesehen, gehört oder gerochen haben will. Zu beiden Komplexen gibt es von uns die nächsten Tage eine separate Geschichte die weniger prozessverlaufverhaftet ist als diese hier – inklusive den Ungereimtheiten um die “Todesfälle” Florian Heilig (Heilbronn, Stichwort “NSS”) und V-Mann Thomas “Corelli” Richter!

Tote, die noch Feuer legen

Apropos “erwiesen”: Haben Sie die letzten Wochen irgendeine Mainstreamzeitung oder Nachrichtensendung entdeckt – die FAZ hatte es wohl immerhin verklausuliert – die erklärte, dass die Behauptung des Selbstmords der “beiden Uwes” endgültig nicht mehr aufrecht erhalten werden kann? Seit 1 1/2 Jahren ist es die Standartbehauptung! Seit BKA-Chef Ziercke im November 2011 in nicht-öffentlicher Sitzung des Bundestag-Innenausschusses, gemeinsam mit Verfassungs”schutz”leiter Heinz Fromm, die Parlamentarier über den aktuellen Ermittlungsstand informieren sollte. Auf die dringliche Nachfrage, wer denn nun – Böhnhardt oder Mundlos – Rußpartikel in den Lungen gehabt hätte, kam sein enttarnender Satz: „Ich weiß auch nicht, welche Relevanz das für Sie hat, dass Sie sich jetzt so echauffieren.“

Vorsitzender Bosbach (CDU) schließlich unterbrach das damals wohl von keinem danach öffentllich problematisierte Possenspiel und wandte sich an den ebenfalls zur „Unterrichtung“ erschienenen Generalbundesanwalt Range. Dieser antwortete: “Ich denke, das kann man sagen, nach dem Ergebnis der Obduktion ist es so, dass Herr Mundlos Herrn Böhnhardt erschossen hat und dann sich selbst gerichtet hat.“ Man beachte: Gefragt war explizit, welcher der beiden Vornamensvetter Rußpartikel in der Lunge hatte. Eine Politikerrunde, der neben Bosbach u.a. Wolfgang Wieland von den Grünen angehörte, ließ sich von zwei hochrangigen Staatsschutzvertretern mit halbseidenen Schilderungen abspeisen.

Vor Wochen – primär durch die Arbeit des Thüringer Untersuchungsausschusses – kam der Obduktionsbericht nun zumindest zitatweise an die Öffentlichkeit (zumindest theoretisch, die meisten Medien schweigen das Thema ja wie erwähnt tot): der führe eindeutig aus, dass bei keinem (!) der Toten Spuren von Ruß oder Raucheinatmung in den Lungen feststellbar waren, womit als erwiesen gelten kann, dass als das Feuer gelegt wurde im Wohnmobil sowohl Böhnhardt als auch Mundlos bereits das Zeitliche gesegnet hatten – denn Tote können bekanntlich schwerlich selber zündeln…

 BITTE UNTERSTÜTZEN SIE UNS so möglich mit einer kleinen spende an kontonummer: 5408979333, BLZ: 50010517, ING DiBa, inhaber: oliver renn – IBAN DE78 5001 0517 5408 9793 33 – BIC INGDDEFF oder zumindest mit aktiver weiterempfehlung und kommentaren hier oder bei facebook und twitter. denn: hinter uns steht kein verlag, keine politische organisation gleich welcher couleur. somit sind wir auf spenden von menschen angewiesen, denen wie uns an einer weitgehenden aufklärung des nsu-komplexes gelegen ist; daran, dass dieses land nicht so tut, als ob rassismus in deutschland kein gesellschaftliches problem und staatliche (mit)schuld sowie staatliches (mit)wissen keine tatsache wäre.

*1999 gab es in einem türkischen Lokal in Nürnberg einen Sprengstoffanschlag, bei dem ein Mann vom Reinigungspersonal schwer verletzt wurde, als er nach einem Gegenstand griff, der wie eine Taschenlampe aussah. Folgt man Carsten Schultze, eine weitere Tat des “NSU”.