nsu-prozess: gericht schikaniert hinterbliebene – deutsche presse schweigt

kilic

habil kılıç, inhaber eines münchner obst- und gemüsehandels wurde nur 38 jahre alt – am 29. august 2001 hat ihn der “nsu” kaltblütig erschossen

der vergangene donnerstag war der bisher wohl härteste prozesstag im verfahren gegen beate zschäpe und andere. das lag einerseits an josef wilfling (kriminaloberrat a.d.) der mit unsäglicher arroganz und erkennbar von rassistischem gedankengut durchdrungen vor gericht als “zeuge” auftrat und andererseits am umgang des richters (der die vergangenen wochen schon mehrfach die anwälte der nebenkläger dreist anging) und teilen der staatsanwaltschaft (die weiterhin alles daran setzt, dass aktenschreddern, der fall temme, früheste v-mann-erkenntnisse zum aufenthaltsort der nun hauptangeklagten sowie von mundlos und bönhardt und derlei mehr vor gericht tunlichst nicht zur sprache kommt) mit der ehefrau des im august 2001 ermordeten lebensmittelhändlers habil kilic.

der eingangs erwähnte kriminaler wilfling, heute 66, hatte seinerzeit die leitung der ermittlung in jenem gemeinhin als vierten nsu-mord bezeichneten fall. damals lieferten ihn unterschiedliche nachbarn und ein postbote hinweise auf insb.vier verschiedene personen, die sich zur tatzeit in der nähe des tatorts aufgehalten haben sollen. angaben über einen angeblichen “mulatten” und einen mann mit “mongolenbart” nahm der beamte dabei offenkundig ziemlich ernst. vor allem ersteren. zwei gänzlich unabhängige zeugenaussagen, die übereinstimmend berichteten, 2 radfahrer mit sportlicher bzw. fahrradkuriertypischer kluft gesehen zu haben, konnten sich seiner damaligen einschätzung nach hingegen nur auf weitere potentielle zeugen, aber keinesfalls auf mögliche täter bezogen haben. dabei war in den ihn vorliegenden protokollen zum mordfall simsek just u.a. ebenfalls – und dort sogar wohl ziemlich prominent – von radfahrern am tatort berichtet worden.

als ob es nicht bereits zumutung genug gewesen wäre, dass sich der münchner beamte retrospektiv sogar von jeder oberflächlichen arbeitsweise freispricht, erst recht von blindheit auf dem rechten auge, wagte es herr wilfling vergangenen donnerstag vor dem OLG gar berechtigte – zugegebenermaßen in einem fall etwas unwirsch vorgetragene – fragen einiger nebenklagevertreter arrogant zu kontern und nebenher in verschiedensten formulierungen zu unterstreichen, dass es aus seiner sicht nur allzu plausibel war, dass man auch im fall kilic von einem tatzusammenhang mit drogendelikten ausgehen durfte. auch wenn sich das mordopfer dann irgendwann als “kreuzbraver” (sic!) mann herausgestellt hätte…

wie bei einem typen wie ihm kaum anders zu vermuten: auch heute scheint wilfling bei türkischen mitbürgern zuerst an mehr oder minder kurmme geschäfte zu denken – anders sind uns sätze wie “jetzt soll man mal bitte nicht so tun, als ob es keine türkische drogenmafia gibt!”, die er vor gericht im rahmen seiner zeugeneinvernahme regelrecht trotzig und (!) rotzig herausposaunt wurden nicht erklärlich.

wer dachte mit diesem auftritt und den dazwischen laufenden maßreglungen von richter und staatsanwaltschaft in richtung nebenklageanwälte hätte dieser prozesstag bereits seinen traurigen höhepunkt erreicht, sah sich etwas später getäuscht. was sich richter götzl leistete, als mit pinar kilic die erste hinterbliebene im nsu-prozess auf dem zeugenstuhl platz nahm, grenzt schon an menschenverachtung und gezielter qual. der vollständigkeit halber darf an dieser stelle jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass kilic’ anwalt bernd-michael manthey seine mandantin wohl nicht nur im vorfeld wenig seriös beraten hat, sondern sie vor ort zunächst gar sträflich allein ließ – nicht von anbeginn an neben ihr platz nahm. gleichwohl rechtfertigt beides zu keiner sekunde den oftmals motzenden, laut werdenden tonfall und oder abfällige “jaja”s mit denen richter götzl der witwe (!) eines mordopfers begegnete, die schlicht und ergreifend in einem klaren ton bekundete, keine kraft für weitere befragungen zu haben, erst recht nicht im beisein jener “dame” (mit gesten richtung zschäpe) – schließlich habe sie alles schon mehrfach zu protokoll gegeben. und das, nachdem sie jahrelang wie eine verdächtige behandelt worden war, erkennungsdienstlich “von rechts und links mit nummer in der hand” von der polizei wie ein schwerverbrecher abfotografiert worden war, aufgrund des sozialen drucks wegziehen und ihren laden aufgeben musste und sich sogar schikanen von der schule ihrer damals rund 10-jährigen tochter gefallen lassen musste.

als sich frau kilic letztlich sichtbar widerwillig den bereits vom inhalt her tatsächlich wenig sinnhaften fragen des richters gebeugt hatte, war die tortur noch nicht zu ende. bundeanwältin anette greger insistierte minutenlang mit fragen, wann die zeugin selber nach deutschland gekommen sei, wann der verstorbene, wann man sich kennengelernt, wann der gatte nachgezogen sei … vom duktus her fast so, als sehe sich greger als vertreterin einer typischen deutschen ausländerbehörde, die den verdacht auf so genannte scheinehen zu untersuchen hätte.

und was machte die deutsche presse die letzten tage aus diesen ungeheuerlichkeiten? der stern etwa entschuldigt implizit götzls aber natürlich nicht mal umrissenes fehlverhalten, fabuliert von einem “Missverständnis” und liefert gleich noch eine erklärung, dass es der perverserweise explizit gar im kontext als “geduldig” geschilderte richter gar gut gemeint haben könnte: “Der Vorsitzende Richter Götzl will den Geschichten der Opfer Raum geben, vielleicht auch um darzustellen, welche Folgen die Morde für die einzelnen Familien, aber auch für die Türken in Deutschland hatten – der Vorwurf der Anklage lautet schließlich Terrorismus.”

während zahllose weitere medien - so sie das thema überhaupt aufgreifen – ähnlich versagen in sachen aufklärung der bevölkerung zu untrieben deutscher richter und staatsanwälte, wird man immerhin bei dpa bzw. der süddeutschen – sucht man mit der lupe nach kritik – in ansätzen fündig: “So souverän der Vorsitzende Richter Manfred Götzl sonst die Verhandlung leitet – der Umgang mit aufgewühlten Zeugen, denen die Strafprozessordnung fremd ist, gehört nicht zu seinen Stärken.” bzw. ”Der Vorsitzende Richter versucht immer wieder, ihr Details über ihren Mann, ihr Leben, den Mord zu entlocken. Einige Fragen des Richters wirken seltsam, die Frau wird immer ungeduldiger.”

doch mit solchen halbsätzen darf für offenkundige qual, die frau kilic letzte woche ein weiteres mal von deutschen behörden erdulden musste, die berichterstattung nicht stoppen! richtig ärgerlich fanden wir übrigens “nsu-watch”, das seine arbeit zum nsu-prozess unserer beobachtung nach leider viel zu euphemistisch als “protokoll”-dienst bezeichnet. die ansätze sind natürlich da, und man könnte sagen besser als nix. und wir möchten die arbeit an sich auch nicht diskreditieren, doch warnen gleichzeitig jeden leser davor “blind” zu glauben, dass es sich dort um protokolle im ureigensten wortsinn handelt! wie an zahllosen anderen stellen auf jener webseite wird bei nsu-watch jüngst u.a. das aussageverhalten von frau kilic mit subjektiven einschätzungen geschildert (“Nur sehr zögerlich” habe sie geantwortet). doch dass götzl laut und anmaßend wurde, findet bis auf eine implizite wiedergabe am ende (“Götzl bohrt nach…”)  in keiner einzigen silbe nachklang!!! doch wenn man an dieser stelle eben noch um zwischentöne und an- bzw. eben unangemessenheit vom tun des richters streiten könnte, findet sich im “protokoll” zwar explizit der folgende satz “Von Seiten der Verteidigung kommen keine Fragen.” aber dass es eine mehrstufige, unseres erachtens eben in jeder hinsicht unangemessen vorgetragene und auch formal ohnedies unnötige minutenlange fragerei seitens der bundesanwaltschaft gab, fiel bei den “kollegen”, die gemenhin zu zweit im pressebereich die laptoptasten krachen lassen, bezeichnenderweise gänzlich unter den tisch. ebenso übrigens, dass eine weitere zeugin an jenem tag gravierende unstimmigkeiten mit zeitlichen einordnungen zum tattag hatte, was zwar in anbetracht der umstände und inzwischen vergangenen zeit mehr als verständlich ist, aber eben nicht unerwähnt bleiben kann. erst recht nicht, wenn man vorgibt, umfassende protokolle zu liefern.